Bedingt ökonomisierungsfähig
von Joachim Knape und Klaus-Detlef Müller

Forderungen nach einer wirtschaftlichen Neuorganisation der Universitäten sind in letzter Zeit von Po-litikern aus Gründen der Geldknappheit forciert worden. In vielen der vorgeblich übergeordneten Argumente spiegelt sich letztlich nur das dürre tagespolitische Motiv aktueller Finanznot wider. Neu ist das Angebot, die Ökonomie zum Nothelfer zu machen. Beharrlich werden dabei falsche Metaphern in Umlauf gesetzt. Es wird ein 'Abspecken' empfohlen, wo längst schon amputiert wird. Immer noch lockt der Sirenengesang der lean production, wobei fahrlässig verschwiegen wird, da▀ die Folgekosten der erhöhten Produktivi-tät, vor allem Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel, von der Gesellschaft zu tragen sind und eine gefährliche Eigendynamik entwickeln.

Zahlenspiele

Zunächst eine ironische Bemerkung: Nach dem Szenario mancher Bildungskritiker ist die Rolle Deutschlands als einer führenden Wirtschafts-, Technologie- und Kulturnation einigerma▀en wundersam. Sie ist eigentlich nur schwer mit einem offensichtlich ineffizienten und maroden Bil-dungssystem vereinbar, das überalterte und schlecht ausgebildete Absolventen entlä▀t. Deutschlands Stellung beruht demnach auf dem Weitblick und der Kompetenz von Topmanagern, die sich nach ihrem Studium in Abendkursen erst auf einen Standard gebracht haben, den ihnen Schule und Hochschule nicht haben bieten können. Darum müssen diese Manager, so scheint man es in manchen Bundeslän-dern zu sehen, endlich in die Universitäten, um dort aufzuräumen.

In diesem Zusammenhang wird in jüngster Zeit eine neue Sprachregelung eingeführt. Bis vor etwa zwei Jahren war man sich noch einig, da▀ die Universitäten und Hochschulen an einer bedenklichen Unterfinanzierung leiden, weil seit der Einfüh-rung des Öffnungsbeschlusses im Jahre 1977 die Zahl der Studierenden sich nahezu verdoppelt hatte, die Zahl der Lehrenden aber fast gleichgeblieben war und der Anteil der Nettoausgaben für die Hoch-schulen am Bruttosozialprodukt von 1,32 % im Jahre 1975 um fast ein Drittel gesunken war. Neuer-dings steht die Unterfinanzierung nicht mehr zur Diskussion. Statt dessen wird von den Professo-ren mehr Leistung eingefordert, ganz so, als wäre die Ausbildung einer verdoppelten Studierendenzahl und die Wahrung des Forschungsniveaus durch eine Leistungsverweigerung erbracht worden. Welche grotesken Lö-sungen ein konsequent ökonomisches Denken nunmehr ins Auge fa▀t, zeigt u.a. die Rechnung von Wolfgang Mönikes, Lei-ter des Grundsatzreferats der Hochschulabteilung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, For-schung und Technik: "An den deutschen Universitäten gibt es (...) bis zu 14.000 mehr Planstellen für wissenschaftliches Personal als nach den herkömmlichen Grundsätzen erforderlich, gleichzeitig fehlen an den Fachhochschulen bis zu 6.000. Im privatwirtschaftlichen Bereich wird heute mit Selbstverständlichkeit ein Produktivitätsfortschritt in einer jährlichen Grö▀enordnung von zwei bis drei Prozent erwartet, im Hochschulbereich wird diese Notwendigkeit nicht einmal diskutiert. Würde man an den Hochschulbereich eine annäherungsweise vergleichbare Erwartung richten und den Anstieg der Studienanfänger in Relation setzen zum Personalzuwachs, so dürfte spätestens ab 1994 nicht mehr von Überlast gesprochen werden." (Süddeutsche Zeitung vom 7./8.12.1996)

Wo der Wissenschaftsrat noch 2.400 zusätzliche Stellen für erforderlich hielt, wird so ein Überhang von 8.000 Stellen konstatiert und ein obskurer 'Produktivitätsfortschritt' eingefordert.

Mögliche und unmögliche Reformansätze

Einige realistische Bemerkungen zu den Ausgangsbedingungen: Unsere Verfassung sieht die Bildung der Bürger als Gemeinschaftsaufgabe. Der Vorstellung einer globalen privatwirtschaftlichen Umorganisation des Bildungswesens stehen nicht nur verfassungsrechtliche Be-denken im Wege, sondern auch ganz praktische. Leistungsfähige Studienplätze (mit der gesamten mo-dernen Infrastruktur) sind allein aus Studiengebühren nicht zu finanzieren, ohne zugleich ein sozialen Unfrieden stiftendes 'Reichenstudium' einzuführen. Es bliebe also nur nach amerikanischem Vorbild ein weitreichendes Sponsoring, das dort allerdings auf der Grundlage eines nicht einzuholenden Stif-tungswesens aufbaut. Dafür fehlen in Deutschland alle Voraussetzungen in Traditionen, Mentalitäten und Steuergesetzgebung, vielleicht auch realisierbarer volkswirtschaftlicher Kapazität. Zudem sollte man nicht übersehen, da▀ die Ressourcenkonzentration, die die imponierende Leistungsfähigkeit der amerikanischen Eliteuniversitäten erst möglich macht, die Mehr-zahl der übrigen Hochschulen in einem traurigen Mittelma▀ verkümmern lä▀t. Und au▀erdem wird ja das amerikanische Bildungssystem nicht ohne Grund scharf kritisiert: das Niveau der schulischen Bil-dung liegt, wie der Bostoner Volkswirt-schaftsprofessor Peter Gottschalk unlängst feststellte, unter dem Niveau vieler Entwicklungsländer; zugleich ist die Zahl der Analphabeten die höchste unter den G 7-Staaten. Mit dem im Prinzip noch unbestrittenen Grundsatz der von einer entwickelten Demokratie geforderten Chancengleichheit, der ja auch im Öff-nungsbeschlu▀ bestätigt wurde und an dem weiterhin festgehalten wird, sind solche Diskrepanzen nicht vereinbar.

Das bedeutet nicht, da▀ über eine bessere Nutzung der knappen Mittel nicht nachzudenken wäre. Kurzstudiengänge und neue Leistungsprofile sind sicherlich notwendig, wenn ein immer grö▀erer Anteil der Altersjahrgänge ein Studium aufnimmt. Sie sind allerdings schwer durchzusetzen, wenn schon die geringste Veränderung von Prüfungsordnungen eine jahrelange Genehmigungsfrist beansprucht. Und zweifellos ist es sinnvoll, berufsqualifizierendes Studium durch Aufbaustudien nach Phasen der Berufstätigkeit zu ergänzen. Nur dient ein solches Modell im Augenblick lediglich dazu, eine verkürzte Studienzeit einzufordern. Niemand kann und will garantieren, da▀ auf diese Weise nicht eine Generation um ihre Bildungschancen betrogen wird. Aberwitzig ist auch die Konstellation, da▀ durch den Öffnungsbeschlu▀ die Universitäten gezwungen sind, abgewiesene Fachhochschulbewerber in gro▀er Zahl aufzunehmen. Erst wenn solche Mi▀stände beseitigt werden, ist eine weitreichende Studien- und Universitätsreform zu verantworten.

Ökonomisierung und Tradition

Da▀ die nötige Reform allein oder auch nur vorrangig nach ökonomischen Kriterien durchgeführt werden sollte, er-scheint zweifelhaft. Die Universitäten den kurzfristigen Nutzungs- und Verwertungsinteressen der Wirtschaft auszuliefern, wäre fahrlässig und setzte die Preisgabe einer gewachsenen Tradition voraus, die sich zwar nur durch fortwährende Erneuerung rechtfertigt, aber nicht zur Disposition gestellt wer-den kann. Universitäten sind in der alteuropäischen Tradition etatistische bzw. - in der Demokratie - gesellschaftspolitisch begründete Einrichtungen. Die Fürsten gründeten Lan-desuniversi-täten (z. B. Tübingen), um Funktionseliten für ein gut funktionierendes Staatswesen aus-zubilden. In der Demokratie wird diese Zielsetzung noch mit dem Projekt der Chancenvergabe an alle begabten Kinder der Bürger aller Schichten verknüpft. Und was die Universitäten in der Forschung an Wissen schöpfen, ist gesellschaftliches Eigentum. Universitäten stehen also im Dienst des Gemeinwe-sens, und wer forscht und studiert, dient dem Gemeinwesen. Universitäten verwalten, pflegen und ent-wickeln das Wissen und das kulturelle Erbe der Gesellschaft, sie sind kein Dienstleistungsbetrieb, der die kurzfristi-gen Interessen von Nutzern bedient. Wer die Arbeit der europäischen Universitäten in der Zielsetzung für individualistische Karrieren oder die Indienstnahme für wirtschaftliche Interessen re-duziert, verkennt den gesellschaftlichen Auftrag der Hochschulen. Das gibt den derzeit auch in Deutschland noch gültigen Verfassungskonsens wieder. Natürlich kann man darüber debattieren, ob das weiterhin Sinn macht. Auf jeden Fall liegen hier die Gründe dafür, da▀ Universitäten über die Steuern aller Bürger aus Staatshaushalten finanziert werden.

Universitäten sind wie alle gesellschaftlichen Einrichtungen Teil des allgemeinen Wirtschaftskreislaufs und unterliegen natürlich insofern auch einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Ihrer Funktion nach aber können sie nicht nur auf speziell wirtschaftliche Interessen ausgerichtet sein. Was Universitäten forschen und lehren, mu▀ sich der eindimensionalen Steuerung durch die 'Nutzen'-Vorstellungen der Wirtschaft entziehen. Die systemtheoretisch verengte Perspektive des homo oeconomicus darf nicht den Blick verstellen. Alle gesellschaftlichen Belange sind in den Universitäten zunächst einmal gleichberechtigt, auch jene, die nicht das vermeintlich immer stärkere Argument ökonomischer Kraft für sich haben. Solange sich die soziale Funktion der Universitäten als Gemeinschaftsaufgabe darstellt, steht es den Universitäten gut an, konzeptionell ihre Tradition als Freiraum innovativer Wissensschöpfung und Wissensvermittlung zu verteidigen. Da▀ dabei organisatorisch im Innern zugleich auch ökonomische Rationalität walten mu▀, versteht sich von selbst.

Bildung, Wissen und Profite

Staatliche Stellen nehmen für alle Dienstleistungen Gebühren, kassieren also situationsbedingte Sondersteuern. Zumutbare (!) Semestergebühren fallen unter diese Rubrik. Eine ganz neue Dimension bekommt das Problem jedoch, wenn man davon ausgeht, da▀ Universitäten (wie Privatbetriebe) Wissen zum individuellen Gebrauch erwirtschaften. In diesem Falle mü▀ten die Nutzer das Wissen kostendeckend, eher profitabel, abkaufen. Das ist zwar theoretisch vorstellbar, sogar mit allen Konsequenzen wie z. B. ausschlie▀lich marktkonformer Forschung oder 20.000 DM Studiengebühr pro Jahr. Damit würde aber der bislang gültige gesellschaftliche Auftrag der Universitäten aufgehoben.

Bildung und Wissen sind bei uns traditionell sehr hohe Werte, aber keine Waren, keine geldwerten Güter und nichts, was so einfach über vorhandene oder herzustellende Märkte vertrieben werden kann. Deshalb halten wir die Universitäten für nur bedingt ökonomisierungsfähig. Auf keinen Fall dürfen sie der Wirtschaft ausgeliefert werden, wie das in verschiedenen Denkmodellen propagiert wird. Es ist ein merkwürdiges Verständnis von Autonomie, wenn die Universitäten zwar aus Gründen einer nicht korrigierbaren Unterfinanzierung aus der Bevormundung des Staates ent-lassen, dafür aber zugleich der viel effektiveren Bevormundung durch die Wirtschaft ausgeliefert werden.

Wenn man sich auf das amerikanische Vorbild beruft, so sollte man nicht vergessen, da▀ es dort die Geldgeber sind, die Management- und Aufsichtsratsfunktionen wahrnehmen. Hier in Deutschland wird hingegen in manchen Bundesländern an eine Teilprivatisierung - z.B. durch Einbindung von Mangern - gedacht, bei der zuvor von der Wirtschaft keine Besitztitel erworben werden müssen. Vertreter der Wirtschaft sind deshalb in der Universitätsleitung auf diese Weise nicht am Platze. Gleichwohl ver-langt die aus der Not geborene neue Haushaltsautonomie wirtschaftlichen Sachverstand. Es sind also betriebswirtschaftlich geschulte und volkswirtschaftlich denkende Fachleute mit entsprechen-den Aufgaben zu betrauen, so wie ja die Universität schon bisher nicht ohne gute Juristen auskom-men konnte.

Im Moment ist realistischerweise nicht mit einer völligen Neuorientierung zu rechnen. Man sollte die Ökonomisierungsfrage daher nüchtern und pragmatisch betrachten.

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